# Normen & Gemeinwohl
Das Normen nicht mit offenen Lizenz, wie Creative Commons angeboten werden, ist an sich schonmal zu hinterfragen. Aber das die meisten Normen nicht barrierefrei hinter Paywalls und Registrierungs-Zwang verschloßen gehalten werden, hat mehrere Problem-Vektoren:
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## 1. Kartellrechtliche Dimension
Wenn private Normenanbieter Normen entwickeln, die de facto verpflichtend sind (z. B. durch Förderprogramme oder Gesetze), aber den Zugang behindern oder überhöhte Gebühren verlangen, kann das als Missbrauch marktbeherrschender Stellung (§ 19 GWB / Art. 102 AEUV) gewertet werden.
## 2. Digitale Souveränität
Normen bilden essenzielle Infrastruktur. Kontrolle über deren Entstehung und Zugriff ist eine Grundvoraussetzung digitaler Selbstbestimmung. Das betrifft etwa Schnittstellen, Interoperabilität oder den Zugang zu kritischen Regelwerken.
## 3. Technologieoffenheit / -unabhängigkeit
Offene Normen fördern Wettbewerb, Innovation und verhindern Vendor-Lock-in. Das stärkt eine offene technologische Basis statt Abhängigkeit von einzelnen Herstellern oder proprietären Lösungen.
## 4. Transparenz und demokratische Legitimation
Normen, die öffentlich-rechtliche Wirkung entfalten, sollten demokratischer Kontrolle zugänglich sein ähnlich wie Gesetze. Als offen verfügbare Dokumente stärken sie das Vertrauen in Entscheidungsprozesse und ermöglichen gesellschaftliche Partizipation.
## 5. Öffentliches Gut (Public Goods)
Normen erfüllen wirtschaftliche und soziale Funktionen. Sie sind nicht-rivalisierend und profitieren ganze Branchen. Zudem stabilisieren sie Märkte, sichern Verbraucherrechte und fördern Gleichheit klassische Merkmale öffentlicher Güter.
## 6. Grundprinzipien öffentlicher Standards
In Demokratien werden Standards in öffentlichen Institutionen als Ausdruck von Integrität, Transparenz und Verantwortung verstanden. Die sogenannten Nolan Principles gelten auch für öffentlich relevante Normsetzung.
## 7. Ethik der öffentlichen Argumentation
Wenn Normen technisch notwendig und gesellschaftlich verbindlich sind, muss die Argumentation über sie offen, nachvollziehbar und inklusiv sein. Das stärkt die demokratische Debattenkultur.
## Zusammengefasst
| Argumentationsfeld | Kernbotschaft |
| ------------------------------- | -------------------------------------------------------------------------- |
| Kartellrecht | Zugangskontrolle durch private Anbieter problematisch |
| Digitale Souveränität | Normen sind Infrastruktur, keine Abhängigkeit von außen |
| Technologieoffenheit | Offene Normen ermöglichen fairen Wettbewerb und Innovation |
| Demokratische Legitimation | Verpflichtende Normen sollten öffentlich verfügbar und kontrollierbar sein |
| Öffentliches Gut | Normen fördern Markt-, Verbraucher- und Sicherheitsinteressen |
| Öffentliche Standardsprinzipien | Transparenz, Integrität, Verantwortung erfordern öffentlichen Zugang |
| Öffentliche Argumentation | Öffentliche Normbildung muss inklusiv und nachvollziehbar sein |
### Warum sind diese Felder wichtig?
Sie stützen die normative Forderung nach kostenfreiem, barrierefreiem Zugang zu öffentlich relevanten Normen.
Sie helfen, politische und rechtliche Strategien zu entwickeln etwa im Normenvertrag, Kartellrecht oder Förderrecht.
Sie bieten Basis für zivilgesellschaftliche Kampagnen wie „Public Money, Public Norms“ oder Open-Access-Initiativen.
## Erster Lichtblick
Ein erster Meilenstein in Richtung öffentlich zugänglicher Normen ist das EuGH-Urteil im sogenannten **Malamud-Fall** vom 5. März 2024. Darin wurde entschieden, dass harmonisierte europäische Normen, die durch EU-Verordnungen verpflichtend gemacht wurden, Teil des Unionsrechts sind und daher kostenfrei zugänglich sein müssen. Obwohl das Urteil primär die EU-Kommission betrifft und sich nicht direkt gegen nationale Normenanbieter wie DIN oder VDE richtet, markiert es einen wichtigen juristischen Paradigmenwechsel. Es zeigt, dass dort, wo Normen öffentlich-rechtliche Wirkung entfalten, auch ein Anspruch auf freien Zugang bestehen kann. Damit öffnet sich perspektivisch die Tür für eine weitergehende Öffnung von Normeninhalten im Sinne des Gemeinwohls.
## Parallele zu Public Money, Public Code
Ein Vergleich zur Kampagne "Public Money, Public Code" liegt nahe. Diese fordert, dass Software, die mit öffentlichen Mitteln entwickelt wurde, als freie Software veröffentlicht werden soll. Der Gedanke: Was öffentlich bezahlt ist, soll auch der Öffentlichkeit gehören.
Ähnlich verhalten sich Normen: Sie sind in vielen Fällen öffentlich finanziert, von öffentlichen Institutionen mitinitiiert oder durch gesetzliche Vorgaben verpflichtend gemacht. Zudem sind sie oft nicht nur technische Dokumente, sondern enthalten konkrete Anforderungen an öffentlich geförderte oder genehmigungspflichtige Lösungen. Man könnte sagen: Normen sind eine Art "Code" – nicht als Software, sondern als strukturierte Regelsysteme.
Wenn Public Code offen sein soll, dann sollte dies für Public Norms genauso gelten.
Kontakt: info@fosseam.org
